Goldener Oktober: Die Rückkehr nach Deutschland
Nach mehr als einem Jahr Abwesenheit haben wir uns wieder in Deutschland eingefunden.
In 2024 waren wir durch München und den Schwarzwald gewandert; dieses Mal konzentrierten wir uns hauptsächlich auf Baden-Württemberg. Würde Deutschland nach der Umrundung des Globus noch immer seinen Zauber auf uns ausüben?
Stuttgart-Mitte war während des ganzen Wochenendes voller Unterhaltungen, die man aus den Eckkneipen hören konnte. Die Straßen waren überfüllt mit Feiernden, die mit Cocktails in der Hand bis in die frühen Morgenstunden hinter den Kordel-Absperrungen saßen. Am Montag legte sich die Ruhe wieder wie ein Morgennebel über die Stadt.
Wir trafen Gittys Schwägerin Ut und ihre Familie auf dem Cannstatter Volksfest, einem dreiwöchigen Herbstfest, das dem Münchner Oktoberfest ähnelt, aber irgendwie einladender ist. Wir verzichteten auf die überfüllten Bierzelte und schlenderten stattdessen unter freiem Himmel zwischen den Ständen mit schwäbischen Spezialitäten umher, wobei der Duft von gegrillten Bratwürsten und Spätzle durch die kühle Luft zog.
Wir verwöhnten Ut's dreizehnjährigen Enkel Harry mit einigen Runden in verschiedenen Fahrbetrieben. Harry fuhr den Autoscooter, während Gitty uns von ihrem eigenen Scooter aus rammte. Wir wurden kräftig umeinander geschüttelt, beinahe so als wie ich vor Jahrzehnten auf der Autobahn ins Schleudern geriet.
Wir waren nach Deutschland zufälligerweise im "Goldenen Oktober" zurückgekommen. Jeder Tag war klar und hell, die Luft gerade richtig für leichte Pullover, während wir durch die Landschaft fuhren und die Blätter sich unter dem blauen Herbsthimmel von Grün zu Bernstein, Kupfer und Braun färbten. Es gibt eine Art Stille in dieser Jahreszeit, eine Pause, bevor die Kälte zurückkehrt, die jedes Tal und jeden Weinberg lebendig und leuchtend erscheinen lässt.
Das Weingut Markgraf von Baden ist umgeben von der hessischen Burg Staufenberg aus dem 12. Jahrhundert
Weingut Laible Weinberge in Durbach
Unsere Gründe für die Rückkehr waren dreierlei. Nachdem wir uns für einen Kurs über deutsche Weine bei der Wine Scholar Guild angemeldet hatten , erfuhren wir, dass die deutsche Weinindustrie seit kurzer Zeit eine Art Renaissance erlebt. Ein Grund war also, die aufstrebende Weinszene in Deutschland zu erkunden. Das neue Klassifizierungssystem des Landes, das seit 2021 den Schwerpunkt vom Zucker auf den Boden verlagert hat, wird ab für alle 2026 verbindlich. Viele Jahre lang war die deutsche Weinindustrie ein einziges Durcheinander von minderwertigen, süßen Weinen, obwohl es immer auch eine Reihe von qualitativ hochwertigen Erzeugern gab, unabhängig von traditionellen Klassifizierungen. Aber das Klima hat sich erwärmt, die Trauben reifen wesentlich früher, und die Winzer haben ihr Handwerk neu definiert, was zu trockeneren, eleganteren Weinen geführt hat, die ihr Terroir besser repräsentieren.
Auf dem Gipfel von Schloss Ortenberg mit Blick auf die Weinberge
Eines schönen Tages, als wir also im Land des Rieslingswaren, verkostete Gitty mehrere Sorten von den verschiedenen Weinbergen, die wir besuchten, während ich als Fahrer fungierte. Wir sammelten ein paar Flaschen von örtlichen Weingütern für eine spätere Weinprobe. Beim Abendessen im Haus unserer langjährigen Freunde Udo und Angela öffneten wir drei Flaschen. Wir sind von Natur aus keine Riesling-Liebhaber, und sie sind es auch nicht, aber wir waren entschlossen, unvoreingenommen zu probieren. Der Wein von Schloss Ortenberg erwies sich als unser Favorit mit einem Hauch von Würze und Mineralien, aber das Experiment endete wenig überraschend: Wir bleiben standhaft Nicht-Riesling-Trinker.
Ein überraschender Abend für uns alle
Unser nächster Halt war in Ihringen am Kaiserstuhl, der sonnenreichsten Region Deutschlands und Heimat einiger der besten Weinberge. Der Zufall wollte es, dass wir zur Zeit kurz nach der Weinlese dort waren, und wir konnten nicht widerstehen, an den hiesigen Feierlichkeiten teilzunehmen, speziell an einem besonderen Abendessen des Weinguts Dr. Heger , dessen Kochkunst mit der eines Michelin-Stern-Restaurants mithalten konnte. Drei Weingüter präsentierten ihre besten Großen Gewächse (Grand Crus), die alle perfekt zum Menü passten. Durch glücklichen Zufall wurden wir an einen Tisch mit dem Winzer Gunter Künstler und seiner Frau plaziert. Die Weine waren erstaunlich, das Essen hervorragend, und Gunter und seine Frau waren einladend und weit gereist. Wir tauschten im Laufe des Abends Geschichten aus, und bei jedem Gang erzählte Gunter vor allen Gästen Anekdoten über die Weinherstellung. Es war einer dieser überraschenden Abende, an denen Essen, Wein und menschliche Beziehungen zu etwas Unvergesslichem verschmelzen.
Baden-Baden mit Blick auf das Friedrichsbad
Eine der kurvigen Kopfsteinpflaster-Gassen in der Fußgängerzone von Baden-Baden
Wir fuhren nach Baden-Baden, der geschichtsträchtigen Kurstadt am Rande des Schwarzwalds. Das Kurhaus erstrahlte in weißem, neoklassizistischem Stil, und die Spielbank glänzte in altem Glanz, obwohl ich nicht die richtige Kleidung dabei hatte, um einzutreten und an den Spieltischen unter den großen Kronleuchtern Geld zu verlieren.
Unser Hotel lag nur wenige Schritte von einer hübschen Fußgängerzone mit kleinen Cafés und Restaurants und vielen kurvigen, engen Gassen entfernt, die sich zwischen malerischen historischen Gebäuden aus dem 18. und 19. Jahrhundert mit pastellfarbenen Fassaden schlängeln. Die Stadt ist bekannt für ihre eleganten öffentlichen Bäder (daher der Name Bad ). Zwölf heiße Quellen entspringen zweitausend Meter unter der Stadt und speisen die kunstvollen Friedrichsbad- und Caracalla-Badehäuser, deren Wasser einst die Gesundheit wiederherstellen sollte. Schon die Römer badeten hier, und auch Jahrhunderte später ist es noch immer ein beliebtes Reiseziel.
Münster auf dem Münsterplatz in Freiburg
Wir erreichten Freiburg rechtzeitig, um den 91. Geburtstag von Tante Hannelore zu feiern, einen Meilenstein, den wir im Jahr zuvor im Ausland verpasst hatten und der eigentlich der Hauptgrund für die Planung dieser Reise war. Gitty hat einen Teil ihrer Jugend hier verbracht, und neben ihr durch die Altstadt zu gehen, fühlte sich an wie eine Reise in die Vergangenheit. Die Freiburger Altstadt ist eines der seltenen Stadtzentren, das sich gleichzeitig lebendig und zeitlos anfühlt. Die kopfsteingepflasterten Straßen sind voller Fußgänger, die die täglichen Marktstände unter dem hoch aufragenden zentralen Münster besuchen.
Musikerinnen und Musiker in Freiburg
Hannelore hatte ihren Tag perfekt geplant: Mittagessen auf dem Münsterplatz, Kaffee und Kuchen am Nachmittag und Abendessen im Dattler Schlossberg hoch oben auf dem Hügel über den Dächern der Stadt. Zusammen mit Gittys Cousin Wolfgang blieben wir bis spät in die Nacht, aufgewärmt von Essen, Wein und Gesprächen, und wollten den Moment nicht enden lassen. Wir hatten alle eine wunderbare Zeit und Gittys Tante ist eine erstaunliche und tolle Frau.
Diese Reise begann mit einfachen Absichten: einen Geburtstag zu feiern, mehr über deutsche Weine zu erfahren und, als dritten Grund, zu sehen, ob Süddeutschland ein Ort sein könnte, an dem man für eine Weile wohnen kann. Nachdem wir so lange gereist waren, stellte sich nicht mehr die Frage, wohin als nächstes, sondern wo wir vielleicht würden bleiben wollen.
Unsere Erkundung führte uns nach Konstanz, eine lebendige Universitätsstadt am Bodensee nahe der Schweizer Grenze, und dann auf die Insel Reichenau, ein UNESCO-Weltkulturerbe, mit mehreren Basiliken aus dem 8. Jahrhundert inmitten Gemüsefeldern und Obstbauplantagen. Beide Orte sind sehr sehenswert, aber dennoch kein Ort, an dem wir uns niederlassen wollen.
Ottonische Wandmalereien mit den Wundern Christi in der Kirche St. Georg, einzigartige Überbleibsel aus dem 10. Jahrhundert
Der Bodensee
Der Handel auf dem Landweg hätte Tage gedauert, während die Überfahrt mit dem Schiff auf die andere Seite des größten deutschen Sees, dem Bodensee, nur Stunden dauert.
Später brachte uns eine Autofähre nach Meersburg, wo wir das Museum Pfahlbauten erkundeten, eine Freilichtrekonstruktion prähistorischer Pfahlbauten. Holzhäuser auf Stelzen, die durch schmale Holzstege miteinander verbunden sind, ragen über das stille Wasser des Bodensees. Gitty besuchte das Museum in ihrer Jugend, also vor sechstausend Jahren, als die Menschen mit anderen steinzeitlichen Siedlungen lebten und Handel trieben, indem sie Kanus aus einzelnen Stämmen schnitzten, um schnell Waren von der anderen Seite des Sees zu tauschen. Okay, so lange ist der Besuch noch nicht her, aber das Museum hat sie beeindruckt, als sie noch jung war und in der Gegend lebte, und deshalb wollte sie es mir unbedingt zeigen.
In Wangen im Allgäu kehrten wir in der Pâtisserie de Pierre ein, wo das Gebäck mit dem in Paris konkurrierte. Das Café erinnerte uns an das Salt, ein Lieblingslokal in Newton, klein, elegant und voll von kulinarischen Überraschungen. Der Chefkoch/Besitzer wurde in Paris geboren und hat sein Handwerk in Lyon gelernt. Als weiterer Weltreisender beschloss er, hier seine Wurzeln zu schlagen.
Wangen ist bekannt als "Stadt der Brunnen".
Das Rathaus auf der einen Seite der Stadt
Der Eselbrunnen in der Stadt Wangen im Allgäu stellt Szenen aus einer der Fabeln von Äsop dar
Wangen selbst war eine Überraschung: verwinkelte Gassen, bunte Fassaden und ein unaufdringlicher Charme, der zum Verweilen einlädt. Der Urban Sketcher in mir sehnte sich danach, sich auf eine Bank zu setzen und zu zeichnen, aber meine Stifte waren eingepackt, und eine lange Autofahrtlag noch vor uns. Würden wir eines Tages zurückkehren?
Blick vom Falkenstein
Unsere letzte Nacht vor München verbrachten wir auf dem Falkenstein imkleinenHotel Blaue Burg, von wo aus sich der Blick auf die endlos erscheinenden Täler erstreckte. Es war der perfekte Ort, um innezuhalten, bevor wir ins Stadtleben zurückkehrten. Vom Balkon unseres Hotelzimmers aus konnte man in der Ferne einen kleinen weißen Punkt sehen: Schloss Neuschwanstein.
Zurück in München hatte das Wetter umgeschlagen. Es regnete, die Bäume wurden kahl und die Novemberkälte hielt Einzug. Wir genossen eine Woche zusammen in einem gemütlichen Apartment, machten Besorgungen und genoßen die Restaurants im Stadtteil Schwabing.
Die Asamkirche ist ein Meisterwerk des süddeutschen Spätbarocks
Die Kirche ist bekannt für ihre außerordentlich kunstvolle und detaillierte Innenausstattung
Der Münchner Marienplatz bei Sonnenuntergang
Frische Luft schnappen auf der Winklmoosalm
Da mein Schengen-Visum bald ausläuft, hatten wir Glück mit ein paar letzten Tagen sonnigen Wetters. Unser letztes gemeinsames Wochenende vor unserem einmonatigen Abschied verbrachten wir in Reit im Winkl, einem kleinen Dorf nahe der deutsch-österreichischen Grenze im südöstlichen Teil Bayerns, und erkundeten die umliegende Region, immer mit dem Hintergedanken, einen zukünftigen Wohnort für uns zu finden. Wir schlängelten uns mit dem Mietwagen hinauf zur Winklmoosalm und hielten an der Sonnen Alm, die für ihre Verbindung zur Olympia-Legende Rosi Mittermaier bekannt ist. Die Sonne schien sanft auf die Gipfel, und der Kaffee und die Süßspeisen schmeckten köstlich, während wir die frische Bergluft genossen.
Wir fuhren in einer Schleife nach Berchtesgaden, dem Kronjuwel im Südosten Bayerns, und hielten unterwegs in mehreren anderen Dörfern an. Berchtesgaden fühlte sich jedoch am vollständigsten an. Es ist nicht ohne Grund ein berühmtes Touristenziel, aber ist es auch ein Ort zum Leben?
Stiftskirche Sankt Peter und Johannes der Täufer und das angrenzende Schloss Berchtesgaden in der historischen Stadt Berchtesgaden
Hält Deutschland nach so vielen Reisen, Flügen, Grenzübertritten und Ozeanüberquerungen noch unser Interesse? Auf jeden Fall. Ob es der Ort sein wird, an dem wir Wurzeln schlagen, ist noch ungewiss. Aber da die Welt immer lauter und unberechenbarer wird, bietet Deutschland etwas Vertrautes, trotz der Jahrzehnte des Wandels, seit wir das letzte Mal hier waren.
Vielleicht ist das für den Moment genug.